Brugnetti Espressomaschinen
Wir
sitzen in Novate Milano, einem eingemeindeten Flecken im Autobahnring
Mailands, A4 Richtung Bergamo und Venedig, in einer Bar an der Via Polveriera.
Es ist Mittag, die Kneipe voll mit Arbeitern in verdreckten Arbeitsklamotten
von der naheliegenden Baustelle, die ihre Pasta mit Grappa wässern.
Die Bar im vergilbten 80er Jahre Interieur versprüht das, was außerhalb
der Touristenzentren auf unangestrengte Lebensart schließen läßt.
Salami und Prosciutto werden frisch aufgeschnitten, namenloser Rotwein
in Kölsch-Stangen ("Ein kleiner Wein?") gereicht und Pasta
wie Risotto sehen großartig aus, der Chef verteilt leckere Kuchenstückchen
zum probieren - Gardinen und Tapeten sind halbwegs vergilbt, auf den Fensterbrettern
sammeln sich tote Fliegen. Bemerkenswert höchstens die paar Fotos,
die nachlässig an den Tresen gesteckt u.a. Giovanni "Flasche
leer" Trappatoni zeigen, wie er den Inhaber im Gastraum im Arm
hält oder die Uhr vom üblicherweise verhaßten piemontesischen
alten Dame Juventus Turin. Eine ganz normale Bar.
Gegenüber,
in einem schmucklosen Flachbau hinter einer rostigen Einfahrt verbirgt
sich die Espressomaschinenschmiede Brugnetti, dem Eingeweihten erschließt
sich die Anwesenheit eines der besten Hersteller nur durch das handbeschriftete
Klingelschild. Wir gehen zuerst eine Etage zu hoch, im zweiten Stock sitzt
QuickMill, auf dem Korridor steht eine halbautomatische Poccino im typischen
Registrierkassendesign. Wir werden da nachhaken.
Paolo Brugnetti, großgewachsener Italiener mit dem unvergleichlichen Schalk und der lässig-charmanten Stilsicherheit, wie sie selbst südlich der Alpen nicht mehr selbstverständlich ist, bittet uns zwanglos in sein Büro und holt den dritten Stuhl selbst. Der Schreibtisch ist mit Heizkesseln und Ventilen bewehrt, auf dem Schrank gegenüber trohnt eine kaffeefleckige Brugnetti "Simona", ein ganz offensichtlich schwer in Gebrauch befindliches Modell der kleinsten Linie der Lombarden. Genauer gesagt, werden wir - und ein gesunder Stolz auf seine Firma blitzt fortwährend auf - aufgeklärt, dass die Simona ein Modell aus dem Geburtsjahr 1986 sei, 17 Jahre hat diese alte Dame also ihren Platz verteidigt ("una macchina, principalmente per fare café") . Die Maschine ist äußerlich normal, tatsächlich bezieht sie ihre Daseinsberechtigung aus der Tatsache, dass jede Neuerung an einer Brugnetti-Espressomaschine zunächst hier eingebaut wird. Mich beschleicht die Ahnung, dass wir hier richtig sein müssen auf der Suche nach der Seele des Espresso. Nicht die ingenieurtechnischen Erklärungen zur richtigen Temperaturregulation am Brühkopf überzeugen uns, sondern Brugnettis echter italienischer Stolz auf die mehr als 65-jährige Geschichte des Familienbetriebes und natürlich der großartige Plastikbecher mit Café aus der legendären, und leicht gebrauchsspurenbehafteten roten Simona. Wenn wir einen ordentlichen Kaffee bräuchten - er könne uns eine nette kleine Rösterei empfehlen. Ich glaube es ihm unbesehen. Genauso, wie seine Aussage, dass er natürlich nicht ständig seinen Espresso selber mache - es gibt ja mittags die Bar gegenüber.
Die
Fabrikationshalle ist mittelgroß und natürlich vollgeräumt
mit Dutzenden von Maschinen aller Größenordnungen, ein- und
zweigruppige Barmaschinen, Mühlen, Gestelle in allen denkbaren Zuständen
der Fertigstellung, Kabel, Kleinkram. Viel Chrom, verschiedene Farben,
auch Computertechnik (die Dampftemperatur am Kaffee wird bei Brugnetti
elektronisch geregelt, d.h. gradgenau und nicht mit 5 % Abweichung wie
die sonst üblichen Bimetall-Streifen. Nirgends ist eine Maschine
mit Display zu sehen, geschwungene Designer-Rundungen fehlen. Brugnettis
Kisten sind funktional, überflüssiges fehlt, Neuerungen werden
nur im äußersten Notfall eingebaut, z.B. wenn der Heimanwender
mit einem Bedienelement nicht klarkommt. Die Simona Top verfügte
über einen einrastenden Schalter für die Dampferzeugung, der
in Haushalten gern dazu führte, dass der vergessene Schalter den
Kaffee verbrannte. Seitdem rastet der Schalter nicht mehr ein. So einfach
ist das. Ein leerer Wassertank wird akustisch angezeigt und führt
zum Abschalten der Maschine. Von Anfang an sind bei Brugnetti Heizwasser
und Frischwasser getrennt, ein System, das seit der Faema
E/61 bei professionellen Maschinen dafür sorgt, dass nur frisches
Wasser zum Kaffee gelangt, das nicht im Heizkessel selbst erwärmt
wurde. Der Mann weiß, wie man ordentlichen Espresso macht.
Ach so, die Poccino stammt aus einer Zusammenarbeit der Düsseldorfer ("Ahh, Dr. Albrecht") mit QuickMill. Ganz ohne Groll sagt er das, so als würde er denen im zweiten Stock die Maschine wirklich gönnen.
Kai Tippmann