Literaturtipps & Rezensionen
Christoph Ruf: Kurven-Rebellen: Die Ultras - Einblicke in eine widersprüchliche SzeneDas Wichtigste ist, dass es dieses Buch gibt: Geschrieben von einem Journalisten, der journalistisch arbeitet. Das heißt, Ruf möchte seinen Lesern die Möglichkeit geben, sich zu diesem in Deutschland relativ neuen Phänomen der Fußballfankultur zu informieren und eine begründete Meinung zu bilden. Dafür fuhr er hin, erzählte mit Ultras über ihr Selbstverständnis und ihre Außenansicht, berichtet über positive Aspekte und Initiativen, greift Kritisches auf und widmet auch dem medialen Diskurs um Ultras ein eigenes Kapitel. Dies alles tut er interessiert, neugierig, kritisch und im klaren Bemühen um Ausgewogenheit und Objektivität. Würde wenigstens die Mehrheit dieser Berufsgruppe Journalismus anhand dieser eigentlich selbstverständlichen Kriterien betreiben, wäre es vermutlich das langweiligste Buch der Welt geworden. Denn wer würde denn ernsthaft begründen können, dass eine Jugendkultur mit mehreren zehntausend Mitgliedern allesamt nur negative Dinge tun? Wer käme im Gegenzug auf die Idee, dass sich unter so vielen Menschen nicht auch kritische Aspekte finden lassen? Nun, eine ganze Armee findet sich, um bei jedem hochgehaltenen Bengalo den Untergang des Abendlandes zu prophezeien. Christoph Ruf verspricht nur "Einblicke in eine widersprüchliche Szene". Journalismus. Nicht mehr und nicht weniger.
Und so besuchte der Autor Ultras von Fürth bis München, Köln bis Duisburg, Stuttgart bis Münster, Karlsruhe bis Dresden und Aachen bis Erfurt. Er widmet sich Reibungserscheinungen mit anderen Fanszenen wie Hooligans, dem Verhältnis zur Polizei, der Rolle von Frauen in der Kurve oder beschäftigt sich - anhand des "Transparent"-Magazins - mit journalistischen Eigenleistungen der Szene. Das tut er wie eingangs beschrieben besonnen, unaufgeregt, kritisch, aber eben auch ohne Angst vor Ansteckung. So macht Ruf mehrfach deutlich, dass er Gewalt unter keinen Umständen akzeptiert, kommt deswegen aber trotzdem nicht zu dem Schluss, dass Ultras rundheraus zu verdammen seien, weil es aus ihren Reihen teilweise eben auch Gewaltepisoden gibt. So wie beim als Vergleich viel bemühten Oktoberfest ja auch. Das Buch stellt für den interessierten Leser eine Quelle dar, sich ein Bild zu machen, gern auch eine Meinung. Vorgegeben wird diese nicht, was auch schon so einen Unterschied zum vielerorts real existierenden Journalismus darstellt.
Das Buch ist damit hoffentlich ein interessantes Angebot für alle, die sich nicht allein mit Polizeiberichten und dem Lobbyismus von deren Gewerkschaftsvorsitzenden, mit frisierten ZIS-Statistiken und knalligen Schlagzeilen vor brennenden Bildern zufrieden geben möchten und alle, die vielleicht noch nicht von der Pauschalverurteilung "Gewalttäter, die mit dem Fußball nichts zu tun haben" vereinnahmt worden sind. Denn bei aller Kritik gehören zur konstatierten "Widersprüchlichkeit" eben auch jede Menge positiver Aspekte, die in der veröffentlichten Meinung über Ultra nur selten Platz finden: soziale Arbeit, Diskussionskultur, Gemeinschaft, Solidarität, politische Arbeit oder ganz einfach die kritische Auseinandersetzung mit ihrem näheren Umfeld. In einer Generation, der ja gern pauschal "Politikverdrossenheit" und "Hedonismus" vorgeworfen wird, bieten die Ultras dem unvoreingenommenen Leser nämlich jede Menge Überraschungen.
Für die Ultras selber ist das natürlich alles nichts Neues und bitte liebe Kurvengänger, erwartet euch kein Buch, dass auch noch jede geworfene Flasche und jeden gezogenen Schal abfeiert. Das wäre zwar andersherum, aber halt immer noch kein ausgewogener Journalismus. Natürlich merkt man dem Buch an, dass eben auch nicht alle Gruppen mit Journalisten reden, deswegen gerät einiges dann doch etwas sehr selbstkritisch und reflektiert - nur solche Szenen sprechen eben mit einem Journalisten. Ich wüsste aber nicht, wie man dieses Dilemma beheben könnte, außer vielleicht durch die Einsicht in der Szene, dass natürlich auch nicht alle Journalisten gleich sind. Ich jedenfalls finde "Kurvenrebellen" interessant zu lesen, objektiv und interessiert. Dass sich Ultras selbst nicht mit jedem Satz identifizieren müssen, liegt in der Natur der Sache - eine Jugendkultur ohne Konflikt zur Mehrheitsgesellschaft wäre ja auch keine. Ein Journalismus, der sich bemüht, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen, der unvoreingenommen recherchiert und Fakten aufbereitet mag dem bierbäuchigen Stammtischpolemiker ebensowenig gefallen wie der Anti-Alles-Fraktion der Ultras selbst. Für die vielen Millionen Menschen dazwischen ist es ein tolles und spannendes Buch, finde ich.