Literaturtipps & Rezensionen
Giovanni Orelli: Vom schönen HorizontDas Veröffentlichen von Gedichten ist eine undankbare und ruinöse Aufgabe, nur noch zu Vergleichen mit dem brotlosen Übersetzen von Lyrik. Um so höher ist es dem umtriebigen Limmatverlag anzurechnen, dass er in schöner Regelmäßigkeit zweisprachige Gedichtbände vorstellt, um Autoren in spanischer, italienischer oder französischer Sprache die Gelegenheit zu geben, sich einem interessierten deutschsprachigen Publikum vorzustellen. Ist Lyrik seit jeher ein defizitäres Geschäft, so werden noch weniger die Sysiphus-Aufgabe zu schätzen wissen, Metaphorisches, Klang, Rhythmus und Struktur einer Sprache in die andere zu übertragen (und glauben Sie, ich weiß, wovon ich rede). Vielmehr noch, wenn es sich wie hier um zwei so grundverschiedene handelt wie deutsch und italienisch. Schon allein dafür ist dem Züricher Verlag Respekt und Anerkennung zu zollen und Grund genug, die Mannen um Herrn Zimmerli mit Bestellungen nur so zu überschütten. Eben dafür, dass es ein solches Kulturverständnis neben Bohlen, Bachelor und Blick überhaupt noch gibt.
Genügend Gründe also, den vorliegenden Band von Orelli zu kaufen. Denn der macht es einem nicht leicht. Von Leben, Tod (vorzugsweise seinem eigenen), Heimat, Erotik und Sehnsucht erzählt der Tessiner Dichter. Oft mit Einsprengseln von immensem Wissen aus dem Fundus des Bildungsbürgers, kokettierend mit seinem Diskurs von Versakrobaten und Publikum.
Ich hab von der Stadt in F-Dur geträumt. Manhattan, in der Nacht nach dem Tod Nathan Milsteins: schrecklicher, herrlicher Stadtteil, rot wie aus Scharlach die Frühlingssonate, op 24, seine Strassen
Man versteht sich.
Dann wieder jedoch Einbrüche von Sprache, schlicht wie die steingedeckten Rustici des Bedretto-Tales.
Du hast den Gang deiner Nonna, Sandalen aus Flügeln schien sie zu tragen, auch als in den Tagen des Leids sie von Zimmer zu Zimmer schlich - und sie heimliches Weinen leise erschütterte.
Dunkel ist Orelli, spröde, kaum etwas erschließt sich beim ersten Lesen. Orelli schleicht sich ein, wenn man ihm Zeit gibt. Kontakt baut er auf durch feine Ironie, bisweilen Härte bis an die Grenze des Zynischen. Dann wieder ein verschmitztes Augenzwinkern, ihn doch ja bitte nicht allzu ernst zu nehmen. Ironie als Distanz zwischen dem Gesagten und Gemeinten - hier nicht als Schutzschild gebraucht sondern Ausdruck seiner Ahnenreihe aus abgeklärten Berglern. Heimatdichtung irgendwie schon, Schnittmenge seiner Herkunft und der großen weiten Welt, wie der Besuch des Belesenen bei seinem Mailänder Buchhändler zeigt:
Ich hab hier ein Buch für Sie, sagt er und reicht mir Brüste von Ramon Gomez de la Serna, fröhlicher Titel - und der Teufel vielleicht
liess auch die "Brüste der Nonnen" erforschen. Bedrückt war mein Sparschwein danach. Doch ich wüßte nur zu gerne, was der Buchhändlerdachs in mir nur erblickte.
Ich würde mich jedenfalls freuen, mehr vom alten Mann aus dem Bedretto-Tal zu hören und es ist ein Glück, dass es in Zeiten dichterischer Monokultur immer noch Menschen gibt, die sich unverdächtig jeden kommerziellen Interesses Geschmäckern unterhalb der 5%-Hürde annehmen. Orellis altersweises, verschmitztes, manchmal melancholisches, manchmal bildungsbürgerliches aber immer unterhaltsames Büchlein wäre mir so entgangen. Und ich will nicht wagen zu ahnen, wieviel an kulturellem Reichtum und hübschen Ideen mir sonst noch entgeht. Hatten Sie Ihre gute Tat für heute schon?