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Literaturtipps & Rezensionen

Patrick Gensing, Andrej Reisin: Der Präventivstaat: Warum Gesundheits- , Kontroll- und Verbotswahn Freiheit und Demokratie gefährden

Das vorliegende Büchlein hat zwar nur in einigen Episoden etwas mit Fußball zu tun, ist aber ungemein erhellend zur Erklärung der um sich greifenden Sicherheitshysterie rund um Fankultur, immer begleitet durch eine Medienwelt, die noch jeden einzelnen Bengalo zum Katastrophenszenario hochjazzt. Unter dem Titel "Wenn Du ein Kind der 70er bist" kursierten vor einiger Zeit Listen durch die sozialen Netzwerke, die schmunzelnd die Verwunderung darüber kundtaten, dass man trotzdem irgendwie überlebt hat, auch wenn man seinerzeit "Wasser aus dem Gartenschlauch" getrunken hat, "auf Bäume geklettert" ist und überhaupt "ohne ständige Erreichbarkeit per Handy unterwegs" war. Und noch eine ganze Reihe anderer Aktivitäten, die heute Bestürzung und elterliche Schreikrämpfe hervorrufen würden, vor wenigen Jahren aber noch völlig normal eingestuft wurden. Auf den Fußball bezogen bedeutet das Phänomen, dass noch Ende der 90er Pyrotechnik in Stadien als "südländische Stimmung" gefeiert wurde und die brennende "Hölle Betzenberg" als Heiliger Graal der Fußballatmosphäre. Heute hingegen reichen Wunderkerzen im Stadion, um einen veritablen Empörungssturm über "unverantwortliche Fußballchaoten" auszulösen. Wobei sich spannenderweise genau die "Kinder der 70er und 80er" darüber echauffieren.

Der Frage, wie es dazu kommen konnte und welche Mechanismen und Interessen dabei am Werke waren, gehen die Journalisten Patrick Gensing und Andrej Reisin in fesselnder und einleuchtender Weise nach. Ausgehend von der statistisch belegten Arbeitshypothese, dass das Leben de facto immer sicherer wird, die gefühlte Bedrohung hingegend immer größer, werden zunächst bestimmte Ausdrucksformen dieser Sicherheitshysterie erarbeitet: Von Terrorabwehr und Extremismusklauseln, Lebensmittelsicherheit, "kindgerechten" Spielplätzen bis hin zu eben"Fußballfans als Staatsfeind Nummer eins" werden die tatsächliche und gefühlte Gefährdungslage im Laufe der Jahrzehnte gegenübergestellt, werden Statistiken, Publikationen und Zeitungsberichte gewälzt, um die Ausgangsthese zu untermauern. Schon allein das sollte zum Nachdenken anregen, spannend wird es allerdings, wie Gensing und Reisin den Bogen zur "Rückkehr des Obrigkeitsstaats" schlagen. Denn letztlich münden linke, post-68er wie konservative Ansätze immer in einem lauten Ruf nach "mehr Staat". Um die "Sicherheit" zu gewährleisten, werden allerorten immer neue Überwachungstechniken, Regeln, Normen und eben auch Bestrafungen abweichenden Verhaltens gefordert. Natürlich ist mittlerweile - ganz Foucault - schon das Individuum selbst gefordert, sein Leben unter Sicherheitsaspekten zu beobachten und sein Verhalten präventiv daran zu optimieren.

Dabei handelt es sich um eine unheimliche, den Akteuren weitgehend unbewusste Allianz zwischen dem freiheitseinschränkenden Terror der reinen Ökonomie und dem freiheitseinschränkenden Terror der reinen Tugend. Diese Allianz gönnt uns zusehends weniger, unterwirft uns nicht nur beim Fliegen Leibesvisitationen, sondern mittlerweile auch beim Besuch von Fußballspielen. Sie macht uns das Feierabendbier streitig und will uns die Zigarette aus dem Mund nehmen. Sie will uns einerseits auf Schritt und Tritt überwachen und uns gleichzeitig ihres guten Willens versichern. Sie schnüffelt in unseren Mülltonnen und will gleichzeitig unseren Stromverbrauch optimieren, sie missgönnt uns Zucker und Fett, verlangt aber gleichzeitig unsere Aufopferung zur Rettung des Weltklimas.

Dass dies nur mit einer Einschränkung von Freiheit und Privatsphäre zu erkaufen ist, liegt auf der Hand. Trotzdem treibt die Gesellschaft immer weiter in die Schaffung eines "Präventivstaats": aus der "medialen Konstruktion einer gefährlichen Welt" hin zur "Privatisierung und Kontrolle des öffentlichen Raums". Hierbei wird aufgezeigt, dass hierbei erstaunlicherweise neoliberale Deregulierungswut als "Motor der Angst" Hand in Hand geht mit grüner "Verbotskultur". Am Ende steht ein System von unausweichbarer Gesamtkontrolle, das längst nicht nur den virtuellen Raum umfasst, sondern über den öffentlichen längst schon in den privaten eingedrungen ist. Grundlage hierfür ist die scheinbare "Alternativlosigkeit" einer solchen Politik: Wer würde ernsthaft dagegen sein wollen, dass das Leben immer sicherer wird? Die Frage ist nur: Um welchen Preis? Kosten-Nutzen-Überlegungen bzw. die Kollateralschäden des um sich greifenden Sicherheitsfetischs übersteigen bereits seit langem die kaum mehr statistisch messbaren Sicherheitsfortschritte. Trotzdem wird abweichendes Verhalten als quasi asozial gebrandmarkt: auch wenn das Individuum maximal sich selbst gefährdet. Unter dem Label der Sicherheit wird gemeinhin akzeptiert, dass sich der Obrigkeitsstaat auch in privateste Angelegenheiten einmischt. Wer fett ist, zügelt sich nicht genug und wird später die "Gesundheitssysteme kollabieren lassen" - unverwantwortlicher geht kaum. Oder?

Das mag vernachlässigbar sein, solange man nicht gerade selbst Fußballfan oder Raucher ist. Die Autoren mahnen allerdings begründet, dass diese Entwicklung zum Präventivstaat keinerlei Bremsen zu zeigen scheint - sicher ist immer besser. Und so dürfen Raucher ggf. nicht einmal mehr in ihren eigenen Wohnungen rauchen, der Konsum von zu fettem Essen wird gebrandmarkt, der Spiegel fabuliert von "Zucker" als "Volksdroge Nummer eins", SUV-Fahrer sind in verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bereits geächtet und Fußballfans haben es in der Zwischenzeit fast schon geschafft, das Abendland in seinen Grundfesten zu erschüttern. Liest man. Ich empfehle dieses Buch jedem, der schon einmal über die Frage gestolpert ist, welche bleibenden Schäden eine Gesellschaft hinterlassen hat, deren Spielplätze noch nicht mit DIN-genormten Gummimatten unterlegt waren.

Angst und Sicherheit sind dieTotengräber von Hoffnung und Freiheit: Denn nur ein freies, hoffnungsvolles, unvernünftiges, exzessives, liebevolles, sehnsüchtiges, widersprüchliches, schmerzhaftes, trauriges und bodenloses Leben voller Klugheiten und Dummheiten ist ein lebenswertes Leben, das diesen Namen überhaupt verdient. Hören wir endlich auf, uns davor zu fürchten!

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