Literaturtipps & Rezensionen
Anna Alos, Marcos Sandiumenge: Oriental Lifestyle. Das Flair von 1001 Nacht.Erinnern wir uns: Es gab Zeiten, da löste der Klang des Wortes "Orient" Erinnerungen an Kinderbücher, Urlaubsreisen und Spielfilme aus, die so gar nichts mit den Bildern zu tun haben, die seit September 2001 die internationalen Fernsehschirme füllen. Sind heute Assoziationen bärtiger Gesellen mit Messern zwischen den Zähnen gegenwärtig, brennende Hochhäuser, Milzbrand-Briefe und Mudjahiddin mit Stinger-Raketen, so erinnere ich mich durchaus noch an das liebenswerte Kairoer Verkehrschaos, den quirligen Khan-el-Khalili, beinlose Bettler inmitten des für Abendländer nicht zu durchschauenden Systems arabischer Großstädte. Ich erinnere mich an den Geschmack frischer Datteln vom freundlichen Gemüsehändler, herzinfarkt-gefährdende zähflüssige Kaffees, grimmige Polizisten hinter Spiegelbrillen und weißgewandete Alte um die Shisha vor dem Kaffeehaus, an penetrante Taxifahrer und ewig blonde Models auf handgemalten Werbeplakaten.
Ich erinnere mich an endloses Feilschen mit einem bärtigen Gewürzhändler, der uns zum Schluß doch übers Ohr haute, dem ich aber nicht böse sein konnte, weil er mir für mein Geld die schönsten Geschichten über die Allmacht seiner Pülverchen mitverkaufte. Ich denke an eine Klasse arabischer Schülerinnen, die mich ungelenke Weißhaut umringend zum gemeinsamen Singen und Tanzen auf der Straße bewegte. Ich weiß noch, wie ich Wut auf den Muhezzin empfand, nicht weil er zum Terror gegen Ungläubige aufrief, sondern weil sein "Allahu akbar" mich regelmäßig morgens um 5 Uhr mit der Unterstützung westlicher Lautsprechertechnik aus dem Bett katapultierte. Um die Zeit bin ich ungläubig.
Und während andere Verlage sich mit teilweise hastig zusammengeflickten Endzeitphilosophien schmücken, schlaue Kenner der Welt uns versuchen, den "Kampf der Kulturen" zu erklären, bringt Callwey einen Bildband heraus. Ein schönes Bilderbuch, ein Exemplar für den Kaffeetisch. Und vielleicht gibt es ja gar keinen besseren Zeitpunkt für das Erscheinen eines solchen Bandes als den September 2001. Bilder, die keinen Hass wecken und daran erinnern, dass nicht jeder Muslim die ganze Zeit schwerbewaffnet über Bergpässe strolcht.
In den von Callwey gewohnten schönen Fotos und knappen Texten, fern von jeder politischen oder kulturellen Kontroverse, zeigt sich ein Orient, der uns näher sein sollte, als die verzerrte Fratze, die CNN & Co. derzeit bemühen müssen. Chaos, Tradition, Alltag zwischen Marokko und Indien. Informationen und Fotos von Speisen, Märkten, Baustilen, von Religion, Handel und Wandel, von Landschaften und Menschen. Verschleierte Frauen, jüdische Viertel, zerrissene Markisen, selbstgemalte Schilder allerorten, einsame Dünenlandschaften und urbane Menschenmassen, stinkende Kleinbusse ohne Fensterscheiben und exotisch duftende Gewürze verbinden sich zu einer sinnlichen Illustration dieser faszinierenden Welt voller Gegensätze.
Kurzum, ein schönes Buch für kalte Winterabende bei Tee und Kamin, zum Verschenken oder zum Selberträumen. Nur mit Lifestyle hat das ganze nichts zu tun - seinen Zauber bezieht der Orient zu einem großen Teil gerade aus Authentizität - nicht Stil und schon gar nicht Style - und vieles, was uns pittoresk erscheint, ist schlicht in tiefer Armut begründet. Aber trotzdem: Es könnte doch sein, dass Bilder aus dem Morgenland mehr zum gemeinsamen Verständnis beitragen als die Worte der Weisen aus dem Abendland.
Kai Tippmann